Missbrauch
Rechtliche Möglichkeiten
Sollten Sie ein ungutes Gefühl in dieser Richtung haben, wäre der erste und wichtigste Schritt, diesen Eindruck gründlich und ohne Rücksicht darauf, ob es den Therapeuten eventuell verletzen könnte, mit ihm zu besprechen. Ebenso wenig sollten Sie aus Angst, seine Zuneigung zu verlieren, vor einer klaren Aussprache zurückschrecken. Vergessen Sie nicht, auch wenn es im Moment sehr schwer zu sein scheint: Sie können notfalls jederzeit den Therapeuten wechseln. Vor allem: Nehmen Sie Ihre Gefühle und Zweifel ernst. Es geht um Ihre Gesundheit. Auch wenn Sie die Patientin sind, müssen Ihre Bedenken keineswegs Folge Ihrer persönlichen Probleme sein.
Wenn Sie mit Ihrem Therapeuten zu keiner befriedigenden Klärung Ihrer Sorgen kommen können, fragen Sie andere anerkannte Therapeutinnen oder Therapeuten um Rat, wenden Sie sich an Beratungsstellen, die zuständigen Therapieverbände oder Ihre Krankenkasse.
1. Strafanzeige
Mit dem 6. Strafrechtsreformgesetz (zuletzt überarbeitet 2003 durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung) wurde 1998 ein Straftatbestand geschaffen, der denjenigen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, der sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist, unter Missbrauch des Behandlungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.
Der Versuch ist strafbar. Auch nach Beendigung der psychotherapeutischen Behandlung, solange die so genannte Übertragungsbeziehung noch maßgeblich nachwirkt, sind solche Handlungen noch nach § 174c Abs. 2, 3 StGB strafbar.
Eine Verurteilung erleichtert die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche auf Schadenersatz und/oder Schmerzensgeld. Eine Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs gem. § 174c ist bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft zu erstatten.
Ermittlungen müssen von Amts wegen aufgenommen werden. Allerdings sind entsprechende Ermittlungsverfahren aus Sicht der Staatsanwaltschaft oft schwierig.
Das mag damit zu tun haben, dass der Täter die Tat in aller Regel leugnet, und damit Aussage gegen Aussage steht. Bei eingehender Ermittlung scheint es aber durchaus möglich, sich eine Überzeugung vom angezeigten Sachverhalt zu verschaffen. Schadenersatz und/oder Schmerzensgeld können im Wege des sog. Adhäsionsverfahrens auch im Strafprozess geltend gemacht werden.
Von dieser Möglichkeit sollten die Gerichte schon deshalb Gebrauch machen, um dem Missbrauchsopfer, das dem Prozess als Nebenkläger beitreten kann, die Beschwerlichkeit eines zusätzlichen Zivilprozesses zu ersparen. Im Strafverfahren besteht auch die Möglichkeit, gem. § 70 StGB ein – grundsätzlich befristetes – Berufsverbot auszusprechen.
2. Schadensersatz und Schmerzensgeld
Der sexuell missbrauchende Psychotherapeut verletzt den Behandlungsvertrag und begeht zudem eine unerlaubte Handlung, was ihn zivilrechtlich zur Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld verpflichtet.
Auch wenn dieser Weg etwas beschwerlich erscheint, da die Patientin für den sexuellen Missbrauch beweispflichtig ist, so hat er aber schon in einigen Fällen zum Erfolg geführt.
Wenn der Psychotherapeut in einen Vergleich einwilligt, um einer Verurteilung zu entgehen, kann dies zwar juristisch als Erfolg gewertet werden, für die Patientin ist dies aber zumeist wenig hilfreich, da die Verantwortung des Psychotherapeuten rechtlich nicht dokumentiert wird.
Haben Sie die Therapie privat bezahlt, sollten Sie unbedingt darauf achten, neben den Kosten der Therapie, in der der Missbrauch stattfand, auch diejenigen einer Folgetherapie als Schadensposten geltend zu machen.
Bei einer Abrechnung über eine Krankenkasse oder eine sonstige Institution können diese den missbrauchenden Therapeuten in Regress nehmen.
3. Beschwerde bei der Krankenkasse
Wurde die psychotherapeutische Behandlung über die Krankenkasse oder eine sonstige öffentlich-rechtliche Institution abgerechnet, so empfiehlt es sich, die Krankenkasse oder die sonstige Institution über den sexuellen Missbrauch zu informieren.
Hat der Therapeut die Stunden, in die der sexuelle Missbrauch fiel, abgerechnet, so kommt eine Strafbarkeit wegen Betrugs gem. § 263 StGB und die Verpflichtung zum Schadenersatz in Betracht.
Dieser Weg ist aber nur ein Notbehelf, da die rechtlichen Konsequenzen hier allein von der Klagegeneigtheit der Kasse oder der Institution abhängen.
Eine Möglichkeit besteht auch in der Anrufung der zuständigen Schlichtungsstelle für Arzthaftungsfragen. Dabei denken Sie bitte an mögliche Verjährungsfristen.
4. Beschwerde bei der Ärzte – bzw. Psychologenkammer
Ist der Therapeut Arzt, so wenden Sie sich an die zuständige Ärztekammer, ist er Psychologischer Psychotherapeut, so wenden Sie sich an die zuständige Psychotherapeutenkammer.
Solche Kammern sind in mittlerweile fast allen Bundesländern eingerichtet und müssen dem Verdacht auf sexuellen Missbrauch durch ein Kammermitglied von Amts wegen nachgehen und Ermittlungen anstellen.
Die Kammern können dem Therapeuten eine Rüge erteilen, eine Geldbuße auferlegen oder seine Berufsunwürdigkeit feststellen.
Bei sexuellem Missbrauch ist letztere Maßnahme angezeigt. Die Kammern kooperieren zudem mit der zuständigen Verwaltungsbehörde, die gem. § 3 Abs. 2 i. V. m. § 2 Abs. 1 Ziff. 3 des Psychotherapeuten-Gesetzes die Approbation als Psychologischer Psychotherapeut widerruft, wenn er sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung seines Berufs ergibt.
Darunter fallen auch sexuelle Kontakte im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung. Der Therapeut verliert damit die Berechtigung zur Ausübung des Berufs des Psychologischen Psychotherapeuten. Unter den nämlichen Voraussetzungen kann auch bei Ärztlichen Psychotherapeuten die Approbation widerrufen werden.
5. Beschwerde beim Gesundheitsamt
Ist der Therapeut Heilpraktiker, so wenden Sie sich an das zuständige Gesundheitsamt.
6. Beschwerde bei der Geschäftsleitung
Ist der Psychotherapeut Beschäftigter einer Klinik, so wenden Sie sich an den ärztlichen Direktor, ist er Angestellter einer sonstigen Institution, so wenden Sie sich an die Geschäftsleitung.
7. Beschwerde beim Berufsverband
Ist der Psychotherapeut Mitglied eines Fachverbandes oder psychologischen Berufsverbandes – regelmäßig vermerken dies die Psychotherapeuten auf ihrem Praxisschild oder ihrem Stempel –, so informieren Sie den Verband über den sexuellen Missbrauch. Verfügt der Verband über eine Ethikkommission oder Schiedsstelle, so erteilt diese Auskunft darüber, welche Schritte Sie einleiten können. Manche Verbände stellen auch von sich aus Ermittlungen an und sprechen Sanktionen aus. Gehören missbrauchende Therapeuten deshalb erst gar keinem Verband an oder treten aus ihrem Verband aus, um einem Ausschluss zuvorzukommen, dann entfällt diese Möglichkeit und Sie sind auf die sonstigen hier aufgeführten Maßnahmen verwiesen.
Angesichts der Gefahr, behördlicherseits nicht mit dem gehörigen Verständnis behandelt zu werden, ist es ratsam, sich anwaltlich beraten und vertreten zu lassen. Missbrauchsmandate erfordern seitens der Anwälte ein erhöhtes Ausmaß an Geschick und Einfühlungsvermögen, sodass Sie nach Möglichkeit eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt konsultieren sollten, die/der bereits Erfahrung im Umgang mit Missbrauchsopfern hat. Bei geringem Einkommen steht Ihnen Prozesskostenhilfe zu.
Da es sich beim sexuellen Missbrauch in der Psychotherapie um ein Beziehungsdelikt handelt, bei dem zunächst Aussage gegen Aussage stehen wird, ist es angeraten, die Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens durch Indizien, z. B. Kartengrüße, Briefe, Geschenke o. Ä., zu erhärten. Da zumeist keine Zeugen vorhanden sind und objektive Tatnachweise fehlen, kommt den von Ihnen angeführten Indizien erhöhte Bedeutung zu. Hierfür sollten Sie Gedächtnisprotokolle über die einzelnen Vorfälle anfertigen, den Zeitpunkt der sexuellen Kontakte so präzis wie möglich angeben und auch festhalten, worauf sich Ihre Erinnerung stützt. Auch scheinbar belanglose Einzelheiten können hier von Bedeutung sein.
Sollten Sie sich selbst rechtliche Schritte gegen Ihren missbrauchenden Therapeuten noch nicht zutrauen oder Ihre Anonymität wahren wollen, so können Sie auch eine Person Ihres Vertrauens oder Ihre Folgetherapeutin bzw. Ihren Therapeuten bitten, den Missbrauchsvorfall bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft anzuzeigen oder die genannten Institutionen darüber zu informieren. Zwar wird man mit einer anonymen Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden in der Regel wenig ausrichten, da jedoch die missbrauchenden Psychotherapeuten zumeist keine Einmal-, sondern Mehrfachtäter sind, ist es nicht ausgeschlossen, dass bereits Anzeigen und Beschwerden weiterer Betroffener vorliegen. Das verbessert die Beweislage für Sie erheblich.
Sie müssen in jedem Falle mit verletzenden Reaktionen, Weckung von Schuldgefühlen, Drohungen bis hin zu rechtlichen Schritten seitens des Therapeuten, der sich den sexuellen Missbrauch zuschulden kommen lassen hat, rechnen. Zumeist wird er Sie persönlich ansprechen und versuchen, Ihr Vertrauen wiederzugewinnen, um Sie zur Rücknahme der Anzeige oder Klage zu bewegen. Wenn Sie nicht schon selbst dazu neigen, sich die Schuld am Vorfall zu geben, weil Sie sich nicht gewehrt haben, wird spätestens er Ihnen die Schuld überantworten. Dass Sie sich mit der Frage Ihres Anteils am Zustandekommen einer sexuellen Beziehung mit Ihrem Therapeuten auseinander setzen, ist völlig normal, hat aber mit der juristischen und ethischen Frage der Zuständigkeit für die Einhaltung der Grenzen in der psychotherapeutischen Beziehungsgestaltung nicht das Geringste zu tun. Der Therapeut, der sich auf sexuelle Kontakte mit einer Patientin einlässt, sprengt den Rahmen dieser Beziehung in strafbarer Weise und fügt seiner Patientin nachhaltigen Schaden zu. Er allein trägt die Gewähr dafür, dass es in einer psychotherapeutischen Behandlung zu keinen sexuellen Handlungen kommt. Alles andere wäre mit dem Berufsbild des Psychotherapeuten auch nicht zu vereinbaren. Fühlt er sich der Beziehungsdynamik, die sich in einer von ihm durchgeführten Therapie entwickelt, nicht gewachsen, so kann er sich in Supervision begeben und die für ihn prekäre Situation mit einem Berufskollegen klären. Im Zweifel muss er von sich aus die Therapie beenden und Ihnen für die Weiterführung Ihrer Therapie einen anderen Therapeuten oder eine Therapeutin empfehlen.
Nicht selten wird es vorkommen, dass Ihre Gefühle für Ihren missbrauchenden Therapeuten noch sehr stark sind, und Ihnen der Gedanke, ihm zu schaden, Schuldgefühle bereitet. Darüber sollten Sie aber nicht vergessen, wie sehr er Ihnen geschadet hat und dass Sie wahrscheinlich nicht die Einzige waren, sind und sein werden, die von diesem Therapeuten missbraucht wurde und wird. Was er Ihnen angetan hat, muss er auch allein verantworten.
Fraglos bringt ein juristisches Verfahren, in dem Sie als Zeugin oder Klägerin auftreten und sich erklären müssen, gerade für Sie als Opfer eines sexuellen Missbrauchs nicht zu unterschätzende Belastungen mit sich. Ohne eine profunde juristische und psychotherapeutische Begleitung sollten Sie sich einen solchen Schritt auch nicht zumuten. Nicht zu verkennen ist aber demgegenüber, dass die meisten Frauen es im Nachhinein als wohltuend erfahren haben, sich gegen das ihnen angetane Unrecht mit juristischen Mitteln zur Wehr gesetzt zu haben. Von dritter Seite öffentlich dokumentiert bekommen zu haben, dass der Therapeut im Unrecht war, hat ihnen geholfen, die passive Opferhaltung zu überwinden, und zur Heilung der durch den Missbrauch erlittenen tiefen Verletzungen beigetragen.